Europa und der Globus - Staaten und Imperien seit dem Altertum
Verlag | DVA |
Auflage | 2001 |
Seiten | 520 |
Format | 22 cm |
Gewicht | 845 g |
ISBN-10 | 3421053499 |
ISBN-13 | 9783421053497 |
Bestell-Nr | 42105349GS |
Rezension:
Was der Historiker also unter kluger Vermeidung von Verengungen, unangemessenen Verkürzungen vermag, wäre in Unparteilichkeit die Antriebskräfte und Leitmotive unserer Gesellschaft aufzuzeigen: und zwar der Entstehung und Tradierung der Phänomene sich zu widmen, die eben unsere Epoche faktisch und geistig prägten. Nicht Ideen zu untermauern, in dem man nützliche Wahrheiten aus der Geschichte isoliert, erscheine als Programm einer Darstellung, sondern sie sollte Humanität wie wirkungsmächtige Einsichten durch die Zeiten dokumentieren: Es kann, schreibt Schulz (S. 42), eine Geschichte der Menschheit geben. Wir studieren sie in der Geschichte von Gemeinschaften und ihren Ordnungen. Wesentliche Konfigurationen und Grundprobleme der politischen Organisation kehren in der Geschichte wohl immer wieder oder verändern sich nur bedingt auf verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungsstufen unter sich verändernden Voraussetzungen. Auch die einzelnen, die hervortreten, stehen unter diesem Gesetz. Immer wieder aber ist das Ideal der humanitas auch zur Realität geworden, so dass ihm ein anthropologischer Urtrieb zugrunde liegen muss. Bei Schulz findet man folglich auch keine eigenwilligen Interpretationen, kein Strapazieren der Quellen, keine Konstruktion von Ideen, kein Moralisieren zum höheren Lobe unserer friedlichen Zeiten. Aber Nachdenkenswertes bietet Schulz in reicher Fülle. Wo immer man Europa und der Globus aufschlägt, beginnt man sich alsbald festzulesen. Im Abschnitt Lehre von der Politik des ersten Kapitels Polis und Politeia. Stadt und Politik im Altertum stößt man auf einen bedenkenswerten Satz des Aristoteles (S. 31): Der Gesetzgeber und der Staatsmann muss wissen, welche demokratischen Einrichtungen die Demokratie erhalten und welche sie zugrunde richten wichtiger aber ist für die Erhaltung der Staatsform die Erziehung im Geiste der Verfassung. Das vermag wohl kein Leser als ein beliebiges Zitat des Verfassers der NikomachischenEthik aufnehmen, das gilt wohl auch vom Autor Gerhard Schulz als in unsere Gegenwart gesprochen. Überhaupt sind die Zitate stets treffend gewählt nicht nur in der Anschaulichkeit, sondern auch im Hinblick auf die Autorschaften. Neben Carl Welcker (Staatslexikon) wird ein ungedrucktes Fragment August Ludwig von Schlözers zitiert, ferner Hamann, der dunkle Magus im Norden, Dostojewski, Christian Wilhelm Dohm, der von Goethe geschätzt wurde, der Marquis de Condorcet, der Comte de Saint-Simon und der mitunter überraschend moderne Friedrich Gentz, Paul Achatius Pfizer, Christoph Martin Wieland, der Phantasie und Aufmerksamkeit mit Scharfsinn zu präsentieren wusste (S. 171). Eine Reihe von Unterkapiteln las ich vor allem deshalb angeregt, weil sie neuartige Komprimierungen darstellen, so Deutschland und der Westen, Gelehrtenrepublik und Nation, Condorcet und die Grundlegungen des Sozialstaates, die Kapitel Deutsche Wende, Europäische Politik und die drei Abschlusskapitel von der Pariser Friedenskonferenz bis zum totalitären Führerstaat. Neben einem ausführlichen und zuverlässigen Personenregister bietet das Buch von Schulz einen hervorragenden Anmerkungsteil von fast 100 Seiten. Darin wird nicht einfach, wie leider oft üblich, darauflos zitiert, um Masse und Kenntnis auszubreiten, sondern es werden die wichtigsten Werke der Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnte zur weiterführenden Auseinandersetzung empfohlen und oft auch kommentiert. Fast überflüssig zu sagen, dass sich darunter auch die wichtigsten englischen, amerikanischen und französischen Darstellungen befinden. Man könnte umfangreichere Zusammenfassungen schreiben, aber doch nur andere und kaum bessere. (Wilhelm Ziehr)