Eine offene Rechnung
Verlag | Hanser |
Alter | 10 - 12 Jahre |
Auflage | 2000 |
Seiten | 103 |
Format | 22 cm |
Gewicht | 246 g |
ISBN-10 | 3446198237 |
ISBN-13 | 9783446198234 |
Bestell-Nr | 44619823M |
Regelmäßig besucht David den alten Herrn Rosental im Seniorenheim. Bei einem seiner Besuche wird Rosental von einem Mann namens Schwarz bedroht. Dieser will sich mit dem alten Herrn duellieren, weil der ihm angeblich ein Bild gestohlen hat.Gemeinsam mit dem Mädchen Ann versucht David, das Duell zwischen Schwarz und Rosental zu verhindern.
Leseprobe:
Ich war zwölf Jahre alt, als sich diese Ereignisse zutrugen. Heute bin ich achtundzwanzig, und noch immer erinnere ich mich an mein Herzklopfen, als ich die näher kommenden Schritte des Kraftprotzes von der medizinischen Fakultät in Heidelberg hörte.
Ich sagte schon, dass ich allein war, das heißt da unter dem Bett. Auf dem Bett nämlich saß Herr Rosental - Heinrich Rosental, siebzig Jahre alt, klein gewachsen und mit einer weißen Haarmähne. Aber unter dem Bett war ich sehr allein. Und ich erinnere mich, dass ich in diesen Sekunden der Einsamkeit und des Wartens noch dachte, dass meine Mutter vielleicht Recht hatte. Vielleicht war es wirklich nicht gut, dass ich keine Freunde hatte und immer allein oder in der Gesellschaft von allen möglichen seltsamen Freunden wie Rosental war. Meine Eltern waren etwas beunruhigt darüber, dass ich weder zu den Pfadfindern noch zu einer anderen Jugendgruppe ging und fast nie an den Klassenabenden teilnahm. Ich hingegen war nur wegen ihrer Sorgen besorg t, denn mit mir selber kam ich gut zurecht. Auch die Leute aus meiner Klasse hatten schon aufgehört, mich zu drängen, ich solle an ihren Aktivitäten teilnehmen -vielleicht, weil sie die Nase voll hatten, vielleicht auch nur, weil es ihnen egal war, ob ich kam oder nicht.
Damit kam ich, wie man so sagt, zurecht. Aber wenn mein Vater am Abend ins Zimmer kam, sich neben mich aufs Bett setzte, mich betrachtete und nichts sagte -das hielt ich schlecht aus. Sogar noch schlechter als die lautstarken Kräche mit meiner Mutter, die mich anschrie und sagte, dass ich mich manchmal wie ein alter Mann verhielte, nicht wie ein Junge mit zwölf. Aber meine Mutter kannte Herrn Rosental nicht. In dessen Pass stand zwar, dass er im Jahre 1896 geboren war, aber er war energisch und lebhaft wie ein Zwanzigjähriger und behauptete, mit siebzig fange das richtige Leben erst an.
Herrn Rosental lernte ich am Anfang des Schuljahres kennen. Unsere Lehrerin teilte uns in "Freiwillige Hilfsgruppen" ein, und unter d en Aktivitäten, die sie vorschlug, gab es auch die Möglichkeit, sich um einen alten Menschen zu kümmern und ihm behilflich zu sein.
Als meine Mutter hörte, dass ich mir aus der Fülle der Angebote an freiwilligen Hilfeleistungen ausgerechnet die "Adoption" eines alten Menschen ausgesucht hatte und ihm zweimal in der Woche Gesellschaft leisten sollte, sagte sie nur: "Und was?" Ihr, die ihr sie noch nicht kennt, müsst verstehen, dass dieses "Und was?" nur die Abkürzung des folgenden Satzes war: "Und was habt ihr gedacht? Statt dass er sich Freunde in seinem Alter sucht, statt dass er Fußball spielt und Sport treibt, statt dass er seine Bücher und sein blödes Kaninchen mal sein lässt, nein, statt alledem geht er hin und sucht sich einen Freund von siebzig Jahren. Und ich bin sicher, dass er das nur tut, um mich zu ärgern." Das ist die volle, ungekürzte und unveränderte Bedeutung dieses "Und was?" meiner Mutter. Ihr müsst zugeben, dass es viel sparsamer ist, einfach "Und was?" zu sagen, s tatt eine ganze Rede zu halten. Aber es half ihr nichts, ich schloss mich der Gruppe von drei weiteren Schülern an, und wir fuhren zum Altersheim, das man auch "Seniorenheim" nennt und das sich in Beit-Hakerem in Jerusalem befindet.
Dazu möchte ich etwas sagen.
Ich weiß, dass es Kinder und Jugendliche gibt, die alte Leute nicht leiden können. Die sagen, dass alte Leute manchmal unangenehm riechen, oder dass ihre Gesichter voller Falten sind, oder dass sie einem einfach auf die Nerven gehen, weil sie so langsam sind. Man kann das aber auch so sehen: Es gibt solche vernachlässigten alten Leute, aber doch nur deshalb, weil jemand sie vernachlässigt. Weil keiner für sie sorgt und sie liebt. Das ist ganz einfach, wie eine Grundregel in der Grammatik: Wenn man jemanden verlässt, ist er verlassen. So ist das.
Diese Dinge habe ich mir nicht selbst ausgedacht; ich hörte sie viele Male von den Leuten im Altersheim, wenn ich bei ihnen saß und mit ih