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Sämtliche Werke: Der Erste Weltkrieg; Abt.1. Tagebücher

Sämtliche Werke: Der Erste Weltkrieg; Abt.1. Tagebücher

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Produktdetails  
Verlag Klett-Cotta
Auflage 2017
Seiten 545
Format 12,7 x 3,8 x 20,7 cm
Großformatiges Paperback. Klappenbroschur
Gewicht 614 g
ISBN-10 3608963014
ISBN-13 9783608963014
Bestell-Nr 60896301A

Produktbeschreibung  

Der erste von insgesamt 22 Bänden der »Sämtlichen Werke« umfasst Schriften Ernst Jüngers aus den Jahren 1920 bis 1934, die allesamt den Ersten Weltkrieg zum Thema haben.

Der Eröffnungsband der »Sämtlichen Werke« enthält sein Debüt »In Stahlgewittern« (1920), »Das Wäldchen 125« (1925), welches Jünger als »Chronik aus den Grabenkämpfen 1918« bezeichnet, der »Ausschnitt aus einer großen Schlacht« mit dem heroisierenden Titel »Feuer und Blut« (ebenfalls aus dem Jahre 1925) und zuletzt eine kurze Skizze, in welcher er sich Jünger zwanzig Jahre später an den »Kriegsausbruch 1914« (1934) erinnert.
Trotz einer literarischen Stilisierung bewahren die Schriften dabei die unmittelbare Einfachheit, die auch Jüngers Kriegstagebuch zu eigen ist, während der Autor etwa in seinem Werk »Der Kampf als inneres Erlebnis« (Sämtliche Werke, Band 7) die Fronterlebnisse stärker reflektierend wie systematisch zu erfassen sucht.

Leseprobe:

In Stahlgewittern (1920)

In den Kreidegräben der Champagne
Der Zug hielt in Bazancourt, einem Städtchen der Champagne. Wir stiegen aus. Mit ungläubiger Ehrfurcht lauschten wir den langsamen Takten des Walzwerks der Front, einer Melodie, die uns in langen Jahren Gewohnheit werden sollte. Ganz weit zerfloß der weiße Ball eines Schrapnells im grauen Dezemberhimmel. Der Atem des Kampfes wehte herüber und ließ uns seltsam erschauern. Ahnten wir, daß fast alle von uns verschlungen werden sollten an Tagen, in denen das dunkle Murren dahinten aufbrandete zu unaufhörlich rollendem Donner - der eine früher, der andere später?
Wir hatten Hörsäle, Schulbänke und Werktische verlassen und waren in den kurzen Ausbildungswochen zu einem großen, begeisterten Körper zusammengeschmolzen. Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blum en waren wir hinausgezogen, in einer trunkenen Stimmung von Rosen und Blut. Der Krieg mußte es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche. Er schien uns männliche Tat, ein fröhliches Schützengefecht auf blumigen, blutbetauten Wiesen. »Kein schönrer Tod ist auf der Welt ...« Ach, nur nicht zu Haus bleiben, nur mitmachen dürfen!
»In Gruppenkolonne antreten!« Die erhitzte Phantasie beruhigte sich beim Marsch durch den schweren Lehmboden der Champagne. Tornister, Patronen und Gewehr drückten wie Blei. »Kurztreten! Aufbleiben dahinten!«
Endlich erreichten wir das Dorf Orainville, den Ruheort des Füsilierregiments 73, eins der ärmlichen Nester jener Gegend, gebildet durch fünfzig Häuschen aus Ziegel- oder Kreidestein um einen parkumschlossenen Herrensitz.
Das Treiben auf der Dorfstraße bot den an die Ordnung der Städte gewöhnten Augen einen fremden Anblick dar. Man sah nur wenige, scheue und zerlumpte Zivilisten; überall Soldaten in abgetragenen, zerschlissenen Röcken mit we ttergegerbten, meist von großen Bärten umrahmten Gesichtern, die langsamen Schrittes dahinschlenderten oder in kleinen Gruppen vor den Türen der Häuser standen und uns Neulinge mit Scherzrufen empfingen. In einem Torweg glühte eine nach Erbsensuppe duftende Feldküche, von kochgeschirrklappernden Essenholern umringt. Es schien, als triebe das Leben hier ein wenig dumpfer und langsamer. Der Eindruck wurde durch den beginnenden Verfall des Dorfes noch vertieft.
Nachdem wir die erste Nacht in einer gewaltigen Scheune verbracht hatten, wurden wir im Hofe des Schlosses vom Regimentsadjutanten, dem Oberleutnant von Brixen, eingeteilt. Ich kam zur neunten Kompanie.
Unser erster Kriegstag sollte nicht vorübergehen, ohne uns einen entscheidenden Eindruck zu hinterlassen. Wir saßen in der uns zur Unterkunft angewiesenen Schule und frühstückten. Plötzlich dröhnte eine Reihe dumpfer Erschütterungen in der Nähe, während aus allen Häusern Soldaten dem Dorfeingang zustürzten. Wir folgten ih rem Beispiel, ohne recht zu wissen, warum. Wieder ertönte ein eigenartiges, nie gehörtes Flattern und Rauschen über uns und ertrank in polterndem Krachen. Ich wunderte mich, daß die Leute um mich her sich mitten im Lauf wie unter einer furchtbaren Drohung zusammenduckten. Das Ganze erschien mir etwas lächerlich; etwa so, als ob man Menschen Dinge treiben sähe, die man nicht recht versteht.
Gleich darauf erschienen dunkle Gruppen auf der menschenleeren Dorfstraße, in Zeltbahnen oder auf den verschränkten Händen schwarze Bündel schleppend. Mit einem merkwürdig beklommenen Gefühl der Unwirklichkeit starrte ich auf eine blutüberströmte Gestalt mit lose am Körper herabhängendem und seltsam abgeknicktem Bein, die unaufhörlich ein heiseres »Zu Hilfe!« hervorstieß, als ob ihr der jähe Tod noch an der Kehle säße. Sie wurde in ein Haus getragen, von dessen Eingang die Rote-Kreuz-Flagge herabwehte.

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