Ein selbsterzähltes Leben - Güstrower Fragmente
Verlag | marixverlag |
Auflage | 2019 |
Seiten | 160 |
Format | 12,5 x 20,0 x 1,8 cm |
Gebunden mit Schutzumschlag | |
Gewicht | 271 g |
Reihe | marixklassiker |
ISBN-10 | 3737411336 |
ISBN-13 | 9783737411332 |
Bestell-Nr | 73741133A |
Zehn Jahre vor seinem Tod legt der deutsche Bildhauer, Grafiker und Dichter Ernst Barlach seine Autobiografie unter dem Titel »Ein selbsterzähltes Leben« vor. Barlach, den man zu den wohl bedeutendsten deutschen Expressionisten zählen darf, schuf literarische Werke, die seinem bildnerischen Schaffen ebenbürtig, aber weit weniger bekannt sind. Seine eigenwillige, expressive Sprache ist ihm ein »Spiegeln des Unendlichen«, die bildhafte Ausdruckskraft, sein Humor und die scharfe Beobachtungsgabe machen diese Autobiografie zu einem Klassiker, die zu lesen auch heute noch große Freude bereitet. Ergänzt wird Barlachs eigene Lebensbeschreibung in diesem Band durch seine autobiografischen Güstrower Fragmente.
Inhaltsverzeichnis:
Inhalt:1. Ein selbsterzähltes Leben 2. Güstrower Fragmente
Leseprobe:
Mein Vater zeichnet Großvater Barlach hatte Liebeskummer, und seine Söhne wachten mit ihm und halfen seufzen. Dann wurde es sehr spät, bis das erlösende Wort fiel: "So gebt die Bibel"; denn nur, wenn der Bibelabschnitt gelesen war, durfte nach der Ordnung des Pfarrhauses in Bargteheide zu Bett gegangen werden. Und mein Vater zeichnete, selbst in dieselbe Person schmerzlich verliebt, zeichnete Großvater Barlach mit seinen Söhnen von der einen Seite auftretend, Bertha Korneels aber, einen großen Geldbeutel herweisend, von der andern. Ein bisschen Zeichnen oder Malen oder Schreiben mehr oder weniger fiel in der Familie nicht auf. Tante Friede schöpfte aus dem Vollen der Farbe und schonte auch die Leinwand nicht - und mit der gerahmten Leinwand nicht Wohnungen, Wände, Stuben, Dielen und alles Gelass derer, die keine Wahl hatten zwischen Nehmen und Ablehnen. Auch ihre Rede quoll aus dem Überfluss; ihre schäumende Suada, hervorbrechend aus unausschöpfbaren Lungen, verglich mein Vater mi t der der Königin Margarete in Richard dem Dritten. Tante Erne, zufrieden mit dem von ihrem Gott nur kümmerlich bemessenen Vermögen, strich im Glauben an den Wert alles aus Liebe Gegebenen ihre grundehrlichen Zaghaftigkeiten aufs gutwillige Papier. Und wenn es sich bei den Brüdern einigermaßen verhielt, so geriet es bei den Söhnen umso hemmungsloser; Vetter Friedrich wurde Maler, Vetter Ernst zog das zeichnerische und schreibende Bekennen und Beteuern mit einer seltsamen, draufgängerischen Unbedenklichkeit in den Dienst einer begeisterten Menschenfischerei, aus dem ihn noch als Student der Theologie der unbedenklichere Menschenfischer Tod verjagte - und sein Bruder Karl, obgleich Jurist, gestaltet mit reiner Treue, was Herz und Auge ihm in Lust und Qual zu verwinden geben und bildend aus dem Bereich des Erlebens in den des Betrachtens zu retten auffordern. Aber mein Großvater starb nicht als Witwer. Als er an seinem ersten Enkel das Werk der Taufe übte, stand er, frisch verlobt, m it seinem Sohn auf dem Balkon des Ratzeburger Hauses, legte reuig die Hände auf das Gitter und seufzte aus tiefster Seele: "Wo ward ick se wedder los?"