Verlag | ATHENA Verlag |
Auflage | 2024 |
Seiten | 100 |
Format | 13,0 x 0,7 x 21,0 cm |
Gewicht | 138 g |
Reihe | Edition Exemplum |
ISBN-10 | 374551176X |
ISBN-13 | 9783745511765 |
Bestell-Nr | 74551176A |
Der Schmerz gebiert Poesie, schon seit jeher. Hätte sich Daphne nicht dem Zugriff Apollos entzogen, indem sie sich in einen Lorbeerbaum verwandelte, würde sich heute niemand mehr an ihn als den Gott der Dichtung erinnern. Nie wäre der Mythos vom Poetae laureati mit dem entsprechenden Lorbeerkranz entstanden, hätte es nicht diese tragische Geschichte gegeben. Gleiches gilt für einen weiteren Schutzpatron der Lyrik, nämlich Orpheus. Ohne den Tod seiner Eurydike wäre sein elegischer Gesang auf immer vergessen. Werner Weimar-Mazur, der seine neuen Gedichte schon zu Beginn vor dem epischen Panorama von Odysseus und Homer aufspannt, weiß eben ganz genau um jene kulturgeschichtlich verbürgte, inspirierende Kraft von Trauer und Schwermut. Passend zur Leidensästhetik hat sein von diversen Symptomen geplagtes, lyrisches Ich natürlich sämtliche Medizinbücher studiert. Und so überrascht es kaum, dass die Poeme als solche nicht glattgebügelt erscheinen. Im Gegenteil: »ich lege mein neues portf olio mit dichtung auf / nur ungereimtheiten kein hochglanz«.Wo sich im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr so richtig reimen will, haben wir es oft mit Stückwerk zu tun: »das jahr geht / in die brüche // in den scherben spielen kinder / sammeln glas splitter / allen unrat den ein leben / hinter lassen hat«. Zerbrochenes, Loses, Fetzenartiges findet sich in den Miniaturen. Mal trifft ein Textsubjekt unverhofft darauf, mal entsteht es etwa durch die Einwirkung eines Schlags auf Fensterscheiben. Dann »klirrt aus den splittern ein gedicht«, das erst gar nicht den Versuch unternimmt, einen falschen Trost in einer falschen Welt vorzugaukeln. Die Melancholie, jener dunkle Stern, von dem alle Energie dieses Bandes ausgeht, darf bleiben und für sich wirken. (Aus dem Nachwort von Björn Hayer)
Leseprobe:
die melancholie der langen tagedie leere wäscheleine vor dem küchenfensterim wind verwehen kindheitender vater sammelt mondeund hängt sie an die wohnzimmerdeckedass sie ein leben erleuchtendie mutter brät die aufgeschnittenen hefeklöße vom vortag anhefeklöße mit blaubeerendie jungferngasse am ersten maiklaviermusik durchs offene fenstereine straßenmusik eine wassermusikdie orla hinab bis in die saaleschräg fällt das licht der leuchtreklame ins zimmerdie träume blinken in vielen farbenbuchstabensuppeich beginne zu lesender vater entwirft häuserdie er sich nie leisten kanndie nie gebaut werdender lagerverwalter führt genau buchdie stenotypistin nimmt das diktat aufmanchmal wenn es ganz still ist im haushöre ich das geklapper der schreibmaschineoder der bleistift kratzt hieroglyphen aufs papiergraffiti aus einer anderen zeitaus einem anderen lebenals ob hinter dem vorhang jemand atmet