Vampire! - Schattengewächse der Aufklärung. Über uns aufgeklärte Menschen im Angesicht der Un-Toten
Verlag | Sonderzahl |
Auflage | 2021 |
Seiten | 144 |
Format | 12,3 x 1,1 x 20,1 cm |
Gewicht | 166 g |
ISBN-10 | 3854495870 |
ISBN-13 | 9783854495871 |
Bestell-Nr | 85449587A |
Die Untoten geistern schon lange durch die Menschheitsgeschichte. In der speziellen Gestalt als Vampir oder Nosferatu tritt er erstmals Mitte des 18. Jahrhunderts in Erscheinung. Seit Bram Stokers Roman Dracula (1897) ist er aus der Literatur nicht mehr wegzudenken. Und mit Francis Ford Coppolas Verfilmung von Stokers Roman aus dem Jahr 1992 hat das Vampir-Dasein endgültig die Form des verklärten Rebellentums angenommen.Der Literaturwissenschaftler Andreas Puff-Trojan folgt in seinem Essay Figur und Mythos des Vampirs auf drei Ebenen: historisch - literarisch - philosophisch.Historisch war der Vampir im 18. Jahrhundert eine reale Gefährdung der Ordnung. Von Maria Theresia entsandte Kommissionen liefern Berichte zu mysteriösen Vorkommnissen an den Rändern des habsburgischen Reiches, die geheim bleiben sollen, aber über die Presse schnell eine von Angstlust geschüttelte Öffentlichkeit erreichen. Diese sagenhaften Vampirepidemien" werden alsbald literarisiert, somit ins Reich der Fan tasie überführt und für die Ewigkeit aufbereitet. Das vampirische Treiben ist aber nicht nur Ausgangsmaterial für ein gruseliges Horrorgenre, sondern bringt Aber-Glaube und Vernunft in ein eigentümliches Spannungsverhältnis und wird damit zu einem Symptom für eine Gesellschaft im Umbruch. Der Vampir entpuppt sich als Kulturfolger, den die aufgeklärte Moderne nicht abzuschütteln vermag, da er ihre Schattenseiten wie kaum eine andere Figur zum Ausdruck bringt.Puff-Trojan untersucht dieses Verhältnis mithilfe der Philosophien von Ludwig Wittgenstein und Martin Heidegger, die sich zwar nicht mit Vampirismus befasst haben, aber Fragen formulieren, die einem scheinbar trivialen Phänomen abgründige Tiefe verschaffen: Mit Wittgensteins Überlegungen zur "Gewissheit" wird die Problematik, ob es gewiss sei, dass es (k)einen Vampir gibt, hintertrieben;und mit Heideggers Überlegung, dass "der Tod im weitesten Sinn ein Phänomen des Lebens ist", wird uns aufgeklärten Menschen ohnehin der Boden d er Realität unter den Füßen weggezogen. Tod und Vampir sind, um mit Heidegger zu sprechen, "existenziell eine phantastische Zumutung".
Leseprobe:
Wir sind zu einer geselligen Runde eingeladen. Der Gastgeber erhebt das Glas und trinkt auf das Wohl seiner Ururgroßmutter mit dem schönen Namen Elisabeta. Sie habe im frühen 18. Jahrhundert in Schlesien gelebt und sei eine Schönheit gewesen. Eines Tages sei im Haus ihrer Eltern ein junger Edelmann auf Besuch gewesen. Elisabeta habe sich sofort in den blassen, dunkelhaarigen Mann verliebt. Und bald hielt der Fremde um ihre Hand an. Doch seltsamerweise sei Elisabeta von Tag zu Tag kränklicher geworden. Niemand, auch der Hausarzt, konnte sich diese Wandlung an ihr erklären. Nur der örtliche Pfarrer hätte die Zeichen richtig gedeutet: Der Fremde war ein Vampir. So schlich der Pfarrer bei Morgengrauen ins Gemach des Vampirs, trieb ihm einen Holzpflock ins Herz, köpfte ihn und sprach dabei wirkungsmächtige Gebete. Nun bittet der Gastgeber all seine Gäste das Glas zu erheben, auf seine Ururgroßmutter Elisabeta zu trinken und besonders auf den tapferen Pfarrer. Der Gastgeber spricht die Worte: 'Hätte es diesen umsichtigen Gottesmann nicht gegeben, wäre Elisabeta zum Vampir geworden und mich selbst hätte es nie gegeben. Oder nur in der Existenz der Untoten.' Wie würden wir reagieren? Wir könnten hinter der Geschichte des Gastgebers einen höchst seltsamen Scherz vermuten, die Gläser erheben und etwas gequält lächeln. Wir könnten nur nicht sagen: Es ist ganz gewiss, dass es im 18. Jahrhundert keine Vampire gegeben hat. Denn unsere Gewissheit ruht auf dem Weltbild, das wir haben. Man könnte auch sagen, die Gewissheit, auf der unser ganzes evidentes Denken und Handeln basiert, ist eine aufgeklärte naturwissenschaftlich orientierte Sichtweise. Nichts in unserem Weltbild spricht gegen dieses aufgeklärte Weltbild. Und in diesem Weltbild haben natürlich Erscheinungen wie Vampire keinen Platz. Aber hatten Vampire Platz im Weltbild der Menschen des 18. Jahrhunderts? Mit welcher Gewissheit, mit welcher Evidenz könnten wir dies verneinen? Nun, ausschließlich mit der unseren.