Verlag | Sonderzahl |
Auflage | 2025 |
Seiten | 240 |
Format | 21 cm |
Hardcover mit Fadenheftung | |
ISBN-10 | 3854496788 |
ISBN-13 | 9783854496786 |
Bestell-Nr | 85449678A |
Die Halbwertszeit von zeitgenössischer Literatur nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. Es scheint, als verschwänden Neuerscheinungen, die nicht binnen weniger Wochen wirksam rezipiert wurden, sang- und klanglos im Orkus eines nimmersatten Buchmarktes. Verlage, die der langlebigen Qualität ihrer Bücher halber eine umfangreiche Backlist pflegen, sind mittlerweile in der Minderheit und auch die Literaturkritik scheint diesen Trend zu befördern, indem Besprechungen dem Rhythmus immer kürzerer Erregungskurven folgen.Gerhard Melzers Auslese mit dem sprechenden Titel »Das lange Leben der Bücher« versteht sich als Einspruch gegen diese Dynamik. Als passionierter Leser und Kritiker der zeitgenössischen österreichischen Literatur kann Melzer auf Lektüren aus vier Jahrzehnten zurückblicken. Diese dokumentieren nicht nur eine kontinuierliche und vertiefende Auseinandersetzung mit der heimischen Literatur, sondern bilden auch einen subjektiven Kanon jener Texte, die auch Jahre und Jahrzehnte na ch ihrer Entstehung im Gedächtnis bewahrt und wiedergelesen werden sollten.Neben den Werken von verbürgten Größen wie Barbara Frischmuth, Norbert Gstrein, Michael Köhlmeier, Friederike Mayröcker, Marlene Streeruwitz oder Josef Winkler gilt sein Interesse vor allem den konsequenten Außenseitern und Querköpfen der österreichischen Literatur. In den rund 60 aufgenommenen Texten heftet sich sein Blick oftmals auf Details, die über die vermeintlichen Inhalte hinausweisen: Indem Melzer seinen Blick auf die Eigenheiten von sprach- wie formbewussten Texten richtet, werden diese als konsequente poetische Entwürfe lesbar, deren Wirkungsweise »für sich genommen eine eigene, spannende Geschichte « offenbart. Diesem Zugang, der die Faszination am literarischen Gelingen teilen möchte, »liegt die Überzeugung zugrunde, dass Literatur eine eigenständige Erkenntnisform sei, und Literaturkritik eine Dienstleistung, die das Verständnis dieses besonderen Weltzugangs tunlichst zu befördern habe. Es gin g mir um Brückenschläge zwischen Autor- und Leserschaft, im besten Fall um Verführungen zur Lektüre, und auf diese Verführungskraft setzt naturgemäß auch die vorliegende Auswahl.«
Mit einem Nachwort von Clemens J. Setz.
Leseprobe:
Nach der ersten Sichtung meiner Buchbesprechungen, entstanden über die lange Strecke von vierzig Jahren, drängte sich das Bild eines Mikado-Wurfs auf: Buchtitel und Namen wie ein chaotischer Haufen bunter Holzstäbchen, gefügt zur literarischen Wunderkammer, die erst nach und nach so etwas wie eine innere Ordnung erkennen ließ.Rückgrat dieser Ordnung ist das Offensichtliche: meine Passion für jüngere und jüngste Literatur aus Österreich, genährt durch Galionsfiguren wie Bernhard, Handke oder Kolleritsch. Glücklicher Zufall, dass sich Auftraggeber fanden, die diese Passion zu schätzen wussten, sodass sie kräftige Blüten treiben konnte. Ein Masterplan steckte nicht dahinter, bloß der Sog einer Neigung, die von Mal zu Mal, von Buch zu Buch, die bestimmten und bestimmenden Umrisse eines kritischen Interesses annahm. [...]Diese Auswahl übt sich im festen Glauben, dass Bücher einen längeren Atem haben als der schnappatmende Markt. Indem sie auf Werke verweist, die es verdienen, auch Jahr e und Jahrzehnte nach ihrer Entstehung im Gedächtnis bewahrt und wiedergelesen zu werden, mag der subjektiven, persönlichen Bilanz des Literaturkritikers so etwas wie gemeinschaftliche Relevanz und Brauchbarkeit zuwachsen.