Die Unschuldigen von Ipanema - und andere Erzählungen
Verlag | PalmArtPress |
Auflage | 2021 |
Seiten | 400 |
Format | 17,2 x 2,7 x 21,1 cm |
Mit Lesebändchen | |
Gewicht | 593 g |
ISBN-10 | 3962580751 |
ISBN-13 | 9783962580759 |
Bestell-Nr | 96258075A |
Boccaccios Rückkehr in Zeiten von Corona? Marko Martin, Schriftsteller und Weltreisender, misstraut jedoch den großen Gesten und erzählt stattdessen ebenso gewitzt wie sprachspielerisch Geschichten vom (gleichgeschlechtlichen) Eros - aus Tokyo und Jerusalem, aus Marseille und Rio de Janeiro, wo auch die drei titelgebenden "Unschuldigen" leben. Eskapismus? Mitnichten. Wo der Autor doch auch alles andere als ein Don Juan ist, sondern ein empathischer Chronist nur scheinbar fremder Lebenswirklichkeiten, in denen man sich allzu oft auch rigider Traditionen erwehren muss. Hinzu kommt, und der Leser erfährt es peu à peu: Dieses Buch erzählt nicht nur von Lust, sondern wagt letztlich noch ungleich mehr - Bericht zu geben von einer Lebensliebe.
Leseprobe:
Er zog die Tür auf und betrat einen schmalen, mit einem Teppich belegten Vorraum. Links von ihm, hinter einer Glasscheibe befand sich die Kasse, fast verborgen unter einem grün bedruckten Bambusvorhang. Unter dem Saum des Vorhangs entdeckte er zwei schneeweiße Hände. Er beugte sich hinunter und sagte in Richtung der daraufhin panisch zurückweichenden Finger ein herzliches Hello. Panisch/japanisch, dachte er in der Schrecksekunde, die darauf folgte. "Twenty-thousand Yen", sagte irgendwann die unsichtbar bleibende, zu den Händen gehörende Stimme und setzte dann in harter Modulation hinzu: "Today: Naked party!""Okay", antwortete er ebenso knapp, sich zurückbeugend und vor der Glasscheibe wiederaufrichtend, sich dabei ebenfalls in ein Paar anonym beweglicher Hände verwandelnd. Plötzlich dachte er an Shogun, den er an Abenden vor einem Vierteljahrhundert zusammen mit seinen Eltern im ZDF gesehen hatte: Richard Chamberlain (von dessen Geheimnis man damals noch nichts wusste) in einer mi ttelalterlichen Welt voll Schwerter schwingender Samurai, die ohne Unterlass Hai! bellten. Today: naked party! Wieder einmal fühlte er seine mangelnde Ernsthaftigkeit. Diese beinahe vollständige Abwesenheit einer Nachtseite, des dunklen Triebs! Würde so jemals ein richtiger Erotiker aus ihm werden, ein auf abendländische Weise ebenfalls höllisch disziplinierter Dompteur der Zeichen und Chiffren, anstatt dass er dieser dummdreiste Gassenjunge blieb, jeder Assoziation und Anspielung wie einer großen weißen Gans hinterherlaufend, um sie dann triumphal feixend in sein Gehege der exotischen Begegnungen zu sperren? (Oh, wie viel Angriffsflächen er bot, ästhetische, intellektuelle mehr noch als moralische Möglichkeiten der Schelte, wüsste man um seine Aktivitäten.)