In Brachland, 1980 erstveröffentlicht, knüpft Christoph Geiser nahtlos an das in Grünsee begonnene autobiographische Dekonstruktionsnarrativ an und rückt den »Zerfall der Familie« nun vollends in den Mittelpunkt, weshalb bald von den »Basler Buddenbrooks« die Rede war. Brachland kann mit Recht als einer der herausragenden Familienromane der Schweizer Literatur bezeichnet werden. Am schillernden Beispiel seiner baselbernischen Herkunftsgeschichte legt der Ich-Erzähler Stück für Stück die sowohl Heuchelei und Verdrängungsmentalität als in vielerlei Hinsicht auch Lieb- und Leblosigkeit kaschierende Fassadenhaftigkeit des Großbürgertums kompromisslos bloß. Geiser kommt dabei ohne die Geste der pathetischen, unversöhnlichen Abrechnung aus. Was für den Text einnimmt, sind gerade die minutiös gestalteten und bei aller Kritik an der schier einschnürenden Enge des bürgerlich-liberalen Elternhauses stets liebevollen Figurenzeichnungen sowie der melancholisch-reflektierte Ton. Brachland ist der große Roman einer kontinuierlichen Entfremdung und einer paradoxerweise geteilten Einsamkeit, der sprachlich gewandt von erstickendem innerfamiliärem Schweigen und insbesondere der schmerzhaften Nicht-Beziehung zwischen Vater und Sohn erzählt.
Christoph Geiser, geboren 1949 in Basel, hat für sein Werk zahlreiche Preise erhalten, zuletzt 2018 den Großen Literaturpreis von Stadt und Kanton Bern. 1980 war er als German-Writer-in-Residence am Oberlin College, Ohio/USA; 1983/84 Gast des DAAD-Stipendium des Berliner Künstlerprogramms in Berlin. Weitere Stipendium führten ihn nach London, an die Cité Internationale des Arts in Paris, nach New York und ins Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf. 2000 war er Stadtschreiber in Dresden. Christoph Geiser ist Mitglied des Deutschschweizer PEN-Zentrums sowie korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt. Er lebt und arbeitet in Bern und Berlin. Moritz Wagner, geboren 1985, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Schweizerischen Literaturarchiv (SLA) in Bern und kuratiert u.a. den Vorlass von Christoph Geiser. Von 2011 bis 2019 war er Assistent und Oberassistent für Neuere deutsche Literatur an der Universität Genf, wo er 2016 mit der Arbeit »Babylon - Mallorca. Figurationen des Komischen im deutschsprachigen Exilroman« promoviert wurde. Zuletzt gab er Ulrich Bechers »New Yorker Novellen« mit einem Nachwort neu heraus (Schöffling 2020). Julian Reidy, geboren 1986, ist Lehrbeauftragter an der Universität Genf. Er wurde 2011 in Bern mit einer Arbeit zur sogenannten Väterliteratur promoviert, forschte und lehrte daraufhin an den Universitäten Bern und Genf sowie an der ETH Zürich. 2017 erlangte er die venia mit einer Habilitationsschrift zu Raumsemantiken und Interieurs in Thomas Manns Erzählwerk. Zuletzt publizierte er in Co-Autorschaft mit Joanna Nowotny die Monographie »Memes. Formen und Folgen eines Internetphänomens« (transcript 2022).
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