Verlag | Edition Karo |
Auflage | 2023 |
Seiten | 306 |
Format | 14,5 x 2,2 x 20,5 cm |
Großformatiges Paperback. Klappenbroschur | |
Gewicht | 313 g |
ISBN-10 | 3945961254 |
ISBN-13 | 9783945961254 |
Bestell-Nr | 94596125A |
"Fünfzig Jahre Leben in Paris, ein halbes Jahrhundert: Bestandsaufnahme, Rückblick, Zukunftweisendes.Erinnerung auf leichten Sohlen, in luftigem Gewande, ein wenig Provokation dabei, ein wenig Nostalgie auch."Ausgangspunkt der Autorin Brigitte Schubert-Oustry für ihren biografischen Roman ist eine kleine Straße im 8. Arrondissement von Paris im Quartier Europe, die ausnahmsweise einmal nicht den Namen einer europäischen Stadt trägt, sondern seit 1867 den eines französischen Ingenieurs - Benoît Clapeyron. Mit zarter Poesie und Nächstenliebe, auch Entdeckerlust, beschreibt die Autorin die Menschen ihrer zauberhaften Stadt Paris.
Leseprobe:
Unser Haus ist ein Mikrokosmos der großen, weiten Welt. Hier wohnen Tunesier, Portugiesen, Spanier, Araber, Schweizer, Algerier, Marokkaner und was weiß ich noch: Es ist die sechste Etage, die hauptsächlich mit ihren kleinen, voll besiedelten Zimmerchen für Farbe, Vielfalt und Ambiente im Alltagsleben des Hauses sorgt.Einen großen Anteil daran haben aber vor allem russische Bewohner, deren Vorfahren aus dem alten zaristischen Russland flohen, in dem der blutige Wandel zum Kommunismus sie in das Exil nach Frankreich trieben. Die meisten unter ihnen begannen in den einfachsten Berufen zu arbeiten. Heute dahingegen belegen viele ihrer Kinder und Enkel sehr oft bedeutende Positionen im Pariser Alltagsleben.In der fünften Etage im Hause mir gegenüber sehe ich seit Jahren einen Mann in seinem eleganten Salon auf- und abgehen, der, nur eine Straßenbreite von meiner Wohnung entfernt, bislang für mich seine Anonymität behielt.Susanne, eine meiner kontaktreichen Freundinnen, sagt mir lächel nd: "Dir gegenüber? In der fünften Etage? Na, das ist ein russischer Prinz aus der alten Dynastie der Shabovski-Rurik. Seine Vorfahren sind zur Zeit des Zarenmordes aus Russland geflohen. Die meisten Männer aus diesen großen Familien begannen in Paris als einfache Taxichauffeure. Der Prinz selbst ist ein großer Gelehrter und zurzeit Präsident der Pariser Vereinigung Noblesse Russe."Ja, in dieser Stadt ist man nie vor Überraschungen sicher! Aber man spricht auch in unserem Haus Russisch, im Erdgeschoss des Escalier B, und ich sollte bald hier die Bekanntschaft eines charmanten Mannes mit klangvollem, russischem Akzent machen ...Ich halte ihm die Eingangstür offen, die porte cochère, und der Mann im Rollstuhl sagt mit einem kleinen, höflichen Lächeln: "Merci, Madame, vous êtes très aimable." Eine elegante, französische Standardformel des Dankes, mit einem offensichtlich slawischen Akzent gesprochen. "Kann ich Ihnen behilflich sein?"Alle Türen der Dachkämmerchen sind namenlos. Hier w ohnen nur Nummern. Unsere Clochards campen in der Nummer 15, der portugiesische Poet dichtet in der Nummer 7 - jetzt, in seiner kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung, hat er sogar das Recht, an seiner Tür seinen Namen »Da Silva« anzubringen. Welche Aufwertung! Ich hoffe nur, dass seine poetische Inspiration davon zusätzlich profitiert.Wie es die übrigen Bewohner, viele Jahre inkognito die Etage bewohnend, mit Post oder Besuchern handhaben, entzieht sich unserer Kenntnis. Aber sicher hat da speziell in unserem Haus die einfallsreiche Concièrge, Madame Berthoin, eine gute Lösung gefunden, die sie zweifellos - wenn auch sicher nicht kostenfrei - den namenlosen Bewohnern der sechsten Etage zugutekommen lässt.Ach, nur wer einmal eine Dachetage in Paris bewohnt hat, weiß, was es tatsächlich bedeutet! Schön ist unbestreitbar nur der Blick von oben auf den Boulevard herab, vorausgesetzt allerdings, dass es auch ein Fenster gibt!Schriftsteller und Dichter haben diesem Stockwerk hin und wieder eine r omantische Note zu verleihen gewusst, wie etwa der Ungar Gábor von Vaszary mit seinem bittersüßen, romantischen Jugendroman Roman "Monpti".In der Realität muss man aber entweder sehr jung und anspruchslos sein oder sich selbst entspannt in ein komfortables Fauteuil zurücklehnen können, um all diese fragwürdigen Hinterhaus- und Dachetagenidylle nur von einer Lektüre her so recht zu genießen.Doch immerhin wissen Léon und ich, dass zwei unserer guten Bekannten, junge Frauen, die einstmals als Au-Pair-Mädchen hierher kamen, ihr Leben in Frankreich in so einem miesen Dachzimmer begannen und heute beide wohlsituierte, geachtete Ehefrauen geworden sind - die eine mit einem Pariser Architekten verheiratet, die andere mit einem südfranzösischen Ingenieur liiert.Also, wer sagt denn, dass Dachgeschosse in Paris nicht auch hin und wieder Wunder möglich machen?