Verlag | Wunderhorn |
Auflage | 2022 |
Seiten | 96 |
Format | 17,3 x 23,6 x 1,2 cm |
Gewicht | 396 g |
Übersetzer | Sabine Stöhr |
ISBN-10 | 3884235621 |
ISBN-13 | 9783884235621 |
Bestell-Nr | 88423562A |
Isolde Ohlbaum bereist seit 2008 die Ukraine und dokumentierte ihre Eindrücke fotografisch. Czernowitz und Lemberg sind Städte mit einer reichen europäischen Tradition, die aber im europäischen Bewusstsein der jüngeren Vergangenheit marginalisiert wurden. Ohlbaums Bilder zeigen diese Prägung, die städtebauliche Wurzel in der K.u.K.-Monarchie, in deren Lücken und Rissen heute das Leben der Ukrainer, gegen alle Widrigkeiten, sehr farbenfroh pulsiert. Sie laden ein, diese zwei Kulturstädte in ihrer alltäglichen Erscheinung zu erkunden. Die Fotos lassen aber auch erahnen, dass große Teile des kulturellen Erbes, etwa der jüdische Friedhof in Czernowitz, dem Verfall nach wie vor ausgesetzt sind. Juri Andruchowytsch lässt in seinem Begleittext die Bedeutung von Czernowitz und Lemberg in seinem Leben und Schreiben Revue passieren, beschreibt die Geschichte ihrer Verbindung und ihre heutige Wahrnehmung in der westlichen Öffentlichkeit. Aus dem Ukrainischen übersetzt von Sabine Stöhr.
Leseprobe:
Juri Andruchowytsch:Heinrich Böll hätte uns fast seine zufälligen Erkenntnisse über die Lage von Lemberg, Czernowitz und der Stadt, in der ich lebe, hinterlassen. In Letzterer verbrachte er mehrere Monate im Militärspital, nachdem er an der Front verwundet worden war. Von hier schrieb er jeden Tag Briefe an seine Frau. Später sollte sich herausstellen, dass er nicht nur Briefe schrieb. Im Jahr 1949 erblickte das erste eigene Buch des jungen Autors das Licht der Welt - die Erzählung »Der Zug war pünktlich«. Das ist bekannt. Was fast niemand weiß ist das Hin und Her bezüglich des Titels. Der Autor hatte einen anderen gewählt - »Zwischen Lemberg und Czernowitz«. Der Verleger aber lehnte das ab, mit der Begründung, dass es für den deutschen Leser unverständlich sei. Heinrich Böll, damals ein rechtloser Anfänger, musste beim Titel nachgeben - und so gelangten weder Lemberg noch Czernowitz, noch das unerwähnte Stanislawiw, so sehr sie es auch verdient hätten, auf den Umschlag seines ers ten Buches.Für mich sind Lemberg und Czernowitz beide eine Art Universitäten. Dabei geht es nicht um die wirklich dort angesiedelten Universitäten. Unter »Universitäten« verstehe ich hier gewisse biographische Perioden, die aus mir gemacht haben, was ich bin. Lemberg - das sind meine Studentenjahre, meine Studien, scholastisch und studiosisch. Czernowitz ist die Armee, mein Wehrdienst, soldatisch und soldatesk. So gesehen sind das Gegensätze: auf der einen Seite Freiheit (maximale Freiheit im damaligen System), auf der anderen Knechtschaft (schlimmer konnte höchstens das Gefängnis sein). Zum Glück dauerte das freie Lemberg ganze fünf Jahre und das unfreie soldatische Czernowitz nur sechs Monate.