Die Farben einer parallelen Welt - Haft in Belarus
Verlag | Edition FotoTapeta |
Auflage | 2021 |
Seiten | 202 |
Format | 13,8 x 1,8 x 22,6 cm |
Klappenbroschur | |
Gewicht | 282 g |
ISBN-10 | 3949262091 |
ISBN-13 | 9783949262098 |
Bestell-Nr | 94926209A |
Der Häftling Mikola Dziadok schrieb von 2010 bis 2015 Essays über das Innenleben der Gefängnisse und Straflager in der Republik Belarus. Damals saß er aus politischen Gründen ein - die jüngste Repressionswelle unter Diktator Lukashenko brachte ihn wieder hinter Gitter. Im November 2021 wurde der Autor erneut zu fünf Jahren Haft verurteilt. Dziadok beschreibt und analysiert den Gefängnisalltag und wesentliche Elemente des belarusischen Strafvollzugssystems - bis hin zur Selbstverletzung als äußerstem Mittel der Gefangenen, um ihr eigenes Leben, ihre Gesundheit und Würde zu schützen. Das belarusische PEN-Zentrum hatte das Buch 2018 mit dem Franzischka Aljachanowitsch Preis ausgezeichnet, als bestes Buch, das in Haft verfasst wurde. Inzwischen wurde das PEN-Zentrum vom Regime aufgelöst.
Leseprobe:
Das Gefängnis als EchokammerVon Felix AckermannMikola Dziadoks konzise Beschreibungen des Alltags in belarusischen Gefängnissen und Straflagern geben einen Einblick in eine Welt, die sich weniger als 1000 Kilometer von Berlin entfernt östlich der Außengrenze der Europäischen Union auftut. Er ermöglicht uns den Einblick in das Innenleben der Strafanstalten in der Republik Belarus. In Gefängnissen und Straflagern inhaftiert und foltert der belarusische Staat seine eigenen Bürger allein weil sie nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen im August 2020 für Grundrechte, Selbstbestimmung und freie Wahlen einstanden. Dziadok zeigt in seinen lakonischen Essays über fünf Jahre Haft von 2010 bis 2015, wie im Alltag belarusischer Gefängnisse die in Belarus geltenden Gesetze missachtet werden. Seit November 2020 ist er selbst erneut in Haft. Deshalb ermöglicht sein Buch auch ein Einblick in seinen heutigen Alltag. Dziadok zeichnet minutiös nach, dass Willkür kein abstrakter Zustand allgemei ner Rechtlosigkeit ist, sondern die aktiv herbeigeführte, bewusste Überschreitung von Grenzen des Rechts, die auch in der Verfassung sowie den Gesetzen der Republik Belarus festgeschrieben sind. Mikola Dziadok ist heute Geisel eines illegitimen politischen Regimes, dem das Vertrauen durch die eigene Bevölkerung seit dem Sommer 2020 entzogen ist. Die psychischen und physischen Misshandlungen, die Dziadok dokumentiert, erfolgen heute in ähnlicher Weise - jeden Tag mitten in Europa. Sie werden ihm und den anderen inzwischen mehr als 800 politischen Gefangenen stellvertretend zugefügt, um die neun Millionen Einwohner der Republik vor der Gewalt des Staatsapparats von Alexander Lukaschenko zu warnen. Damit zeigt der Blogger und Aktivist auch, unter welchen Bedingungen heute Maria Kolesnikowa, Sergei Tsichanowskij und viele andere im belarusischen Strafvollzug leben.Zugleich verdeutlicht der Text, dass es eine Möglichkeit gibt, die Gewaltherrschaft im Gefängnis selbst vorzuführen und da s Strafanstalt als Bühne zu nutzen, um Haltung gegen die Gewalt des illegitimen Regimes zu zeigen. Auch wenn Mikola Dziadok heute selbst abgeschirmt von der Öffentlichkeit und selbst weitgehend ohne Kontakt zu seiner Familie hinter Gittern ist, gelang es ihm mit seinem Buch sowie aus dem Strafvollzug geschmuggelten Berichten, das Gefängnis in eine Echokammer des Widerstands zu verwandeln. So werden das mit den Händen geformte Herz einer Maria Kolesnikowa während der Gerichtsverhandlung ebenso wie die Texte von Mikola Dziadok zum Aufruf, weiterhin einzustehen gegen die Gewalt von Alexander Lukaschenkos maskierten Unterstützern.Das vorliegende Buch wirft die Frage auf, wie es die Menschen im westlichen Europa mit Staatsverbrechen im frühen 21. Jahrhundert im Zentrum Europas halten. Wer heute die Zustände in belarusischen Gefängnissen auch außerhalb der Landesgrenzen anprangert, unterstützt die Inhaftierten ebenso wie die belarusische Protestbewegung. Deshalb fließt der Gewinn aus di eser Publikation vollständig in die Arbeit des Vereins Razam, in dem sich nach Deutschland Geflüchtete aktiv für politisch Verfolgte in Belarus einsetzen. Der Verein Liberecco listet auf seiner Homepage die aktuellen Adressen der politischen Gefangenen in Belarus auf - es ist möglich, ihnen auch aus dem Ausland auf Russisch und Belarusisch Briefe zu schreiben. Die Schweizer Parlamentsabgeordnete Tamara Funiciello übernahm eine Patenschaft für Mikola Dziadok. Unter #westandby gibt es im Internet zudem Stimmen ganz unterschiedlicher Zeitgenoss:innen zur Willkür in Belarus - einer Willkür, deren systematischen Charakter Dziadok am Beispiel der Strafanstalten seziert.