Morbus Sockenschuss - Aus dem Berufsalltag einer psychiatrischen Krankenschwester
Verlag | Kinzel |
Auflage | 2015 |
Seiten | 260 |
Format | 14,8 x 21,0 x 1,5 cm |
Gewicht | 381 g |
ISBN-10 | 3955440222 |
ISBN-13 | 9783955440220 |
Bestell-Nr | 95544022A |
"Ich beschreibe auf humorvolle Weise meine Arbeit als psychiatrische Fachkrankenschwester. Alle beschriebenen Charaktere habe ich frei erfunden; der allgemeine Rahmen und die vorgestellten Menschen sind aber trotzdem 'erschreckend real'."Der Text richtet sich an alle interessierten Leser. An Menschen, die sich dafür interessieren, wie es "hinter den Kulissen" der psychiatrischen Klinik zugeht, an - potentielle - Kolleginnen und Kollegen und an psychisch kranke Menschen, die sich dafür interessieren, wie die Behandlung von Patienten aus der Perspektive einer Krankenschwester aussieht.
Leseprobe:
Eine Floskel, die ich liebe. Freundlich und bestimmt. Dann verbinde ich dieses Telefonat mit Dr. Oetker. Und danach wende ich mich wieder dem neuen Patienten zu. Der ist von kräftiger Statur, deutlich größer als ich (was auch nicht allzu schwierig ist!), hat dunkle, etwas fettige Haare und braune Augen. Er sieht wirklich müde und erschöpft aus, trägt ein Krankenhaus-Nachtleibchen und darüber einen verschlissenen Bademantel, wahrscheinlich aus dem 'Fundus'. So ein Fundus ist eine Erfindung, die es wahrscheinlich in den meisten psychiatrischen Krankenhäusern gibt. Übriggebliebene und aussortierte Kleidungsstücke werden auf den Stationen gelagert und an bedürftige Patienten ausgegeben. Zum Beispiel an Patienten, die 'von der Straße' kommen und nichts dabei haben oder aus einen Krankenhaus, wo sie nur im Schlafleibchen bekleidet weitergeleitet werden. So wie Herr Boschem. Der Bademantel ist in der Tat einer aus unserer 'Kollektion', vor ihm haben ihn bestimmt schon vier, fünf andere P atienten getragen, an die ich mich zum Teil noch recht lebhaft erinnern kann (natürlich werden die Kleidungsstücke gut gewaschen). Ich reiche dem Patienten die Hand:
"Hallo, Herr Boschem. Ich stelle mich erst mal vor: Mein Name ist Knick, ich bin psychiatrische Fachkrankenschwester. Was kann ich denn für Sie tun?"
Herr Boschem lächelt überraschend freundlich. Jedenfalls überraschend freundlich für einen verunglückten und gerade erst geretteten Selbstmörder.
"Hallo. Hätten Sie eventuell mal eine Zahnbürste und einen Kamm dabei? Und etwas Seife, die im Spender im Bad ist nämlich alle."
"Natürlich, kein Problem. Ich bringe es Ihnen aufs Zimmer."
Das mache ich dann auch. Der Patient schlurft recht mühsam in sein Zimmer zurück. Ich hole ihm Kamm und Zahnbürste aus der Vorratskammer und eine neue Flasche Seife. Handtücher und hat er bereits automatisch auf dem Bett. Zurück im Zimmer sitzt er etwas steif auf der Bettkante. So als sei er ein 'Hausherr' und erwarte mich zum Hausbesuch. Die Hände hat er gefaltet und er guckt ein wenig traurig, lächelt aber dabei irgendwie wissend. Durch seinen drei-Tage-Bart wirkt er leicht ungepflegt. Das habe ich schon bemerkt. Aber mit Absicht habe ich ihm keinen Rasierer mitgebracht. Denn als 'nicht distanzierter Suizidaler' müsste ich bei seiner Rasur dabei sein. Er soll sich ja nicht mit unserem Rasierer die Pulsadern aufschneiden! Bei seiner Rasur dabei zu sein habe ich aber im Moment keine Zeit. Immerhin ist unsere Praktikantin alleine da vorne im Dienstzimmer. Sie kann das sicher händeln, Telefon und Tür bedienen und Anfragen auf etwas später vertrösten, aber ich will ihre Geduld und die der Patienten nicht überstrapazieren.
"Hier ist die Zahnbürste und der Kamm. Die Seife hier geht übrigens auch als Shampoo für die Haare. Wie geht's Ihnen denn so? Sie sind noch ein bisschen wackelig auf den Beinen."
Damit ist meine Frage ganz offen. Er kann ganz oberflächlich antworten oder auf seinen wackeligen Zustan d eingehen oder mir sein Herz ausschütten.
"Ach, naja, mir geht's so einigermaßen. Wie es einem geht, wenn man gerade dem Tod von der Schippe gesprungen ist."
Da ist es wieder, dieses ganz leichte Lächeln. Nett sagt er das, ganz natürlich....
"Weiter im Text: Frau Munz scheint sich ganz schön zusammenzureißen. Sie ist in Gesprächen ganz kontrolliert, so als könnte sie sonst jederzeit platzen. Der Tavor-Entzug macht ihr immer noch zu schaffen. Über ihre Kinder verliert sie kein Wort. Herr Boschem hat sich wirklich gut gefangen. Er zeigt sich stabil und hatte nachmittags auch Besuch von einem Bekannten. Da hat er sich vorher ziemlich in Schale geworfen. Nur die Sichtkontrolle nervt ihn langsam. Er beklagt sich nicht, aber man merkt es. Heute bin ich mit ihm zur Biographie-Arbeit verabredet. Eine Frage..."
Ich wende mich an den Psychologen Herr Thomas.
"Hast du mit Herrn Boschem schon geredet? Irgendwie kommt er ziemlich narzisstisch rüber..."
"Nee, habe ic