Verlag | Edition Nautilus |
Auflage | 2024 |
Seiten | 384 |
Format | 14,6 x 2,3 x 21,1 cm |
Großformatiges Paperback. Klappenbroschur | |
Gewicht | 410 g |
Reihe | Flugschrift |
ISBN-10 | 3960543506 |
ISBN-13 | 9783960543503 |
Bestell-Nr | 96054350A |
Als am 25. April 1974 in Portugal ein Militärputsch gegen die Diktatur des Estado Novo losschlägt, befindet sich der junge Linke Phil Mailer als Englischlehrer im Land. Wie der Großteil der Bevölkerung wird auch er von den Ereignissen überrascht - eher zufällig erlebt er mit, was als Nelkenrevolution in die Geschichte eingehen würde.Die linksgerichteten Militärs des Movimento das Forças Armadas beendeten mit ihrem Putsch nahezu gewaltfrei fast 50 Jahre faschistischer Herrschaft - unterstützt von der breiten Bevölkerung, die die Gewehrläufe der Soldaten mit den namensgebenden Nelken schmückte. In den darauffolgenden 18 Monaten setzte sich eine unglaubliche Energie in dem bis dahin von Zensur und Geheimpolizei unterdrückten Land frei: Riesige Massendemonstrationen, hunderte Streiks, Besetzungen und Kollektivierungen von Fabriken, Betrieben und Wohnraum sowie die Gründung dutzender Arbeiterkomitees, Gruppen und Parteien. Bald wurde deutlich: Im Kleinkrieg der Politiker und Offiziere um die Macht, wird die Selbstorganisation der Arbeiterinnen und Arbeiter aufgerieben. Am Ende war der Faschismus tatsächlich weitgehend friedlich beendet worden, die portugiesische Gesellschaft aber auf dem Weg, sich ebenso friedlich in die Gemeinschaft kapitalistischer Staaten einzubinden. Es gab demokratischen Wandel, aber hatte es auch eine Revolution gegeben?Phil Mailers nun erstmals ins Deutsche übersetzter Bericht dokumentiert auf faszinierende und detaillierte Weise die Hoffnungen und den enormen Enthusiasmus von Hunderttausenden Menschen, die die Neugestaltung ihres Lebens in die Hand nahmen. Mit seinem konsequenten Fokus auf die autonome Arbeiterbewegung ist sein Buch auch ein Plädoyer für einen Klassenkampf von unten, der in Portugal von Avantgarden und Parteien erstickt wurde.
Leseprobe:
8:15 Uhr. Meine Nachbarin weckt mich, mit irrem Blick steht sie im Pyjama vor mir. Ich sollte heute besser nicht zur Schule fahren, sagt sie. Alle Schulen sind geschlossen, die Armee hat die Macht übernommen, es wird geschossen, niemand soll sein Haus verlassen. Damit ich sie besser verstehe, spricht sie in gebrochenem Portugiesisch und deutet mit ihren Fingern Schüsse in die Luft an.Die spinnt, denke ich mir. Ich mache die Tür zu, stelle das Radio an und lege mich wieder ins Bett. Nichts: nur die übliche Werbung. Ich kann das alles nicht glauben. Ich bin müde, aber einschlafen kann ich nicht mehr. Ich versuche es auf anderen Sendern. Im Staatsrundfunk läuft Marschmusik. Hat sie vielleicht doch Recht?9:10 Uhr. Verspätet komme ich in der Schule an. Kein Bus weit und breit. Ich treffe R., einen Lehrer, die Neuigkeiten platzen aus ihm heraus. Auch D., der Faschist der Schule, ist da. Wir fragen uns, ob die Rechte oder die Linke dahintersteckt, oder auch genauer: welche Kräfte auf der Rechten - die Generäle oder Spínola? Die Frage bleibt den gesamten Vormittag unbeantwortet. Niemand weiß es.