Verlag | mairisch Verlag |
Auflage | 2021 |
Seiten | 224 |
Format | 13,9 x 2,2 x 20,7 cm |
Gewicht | 350 g |
ISBN-10 | 3948722102 |
ISBN-13 | 9783948722104 |
Bestell-Nr | 94872210A |
Die Schriftstellerin Vera und der Maler Claus leben mit ihrem Sohn Siggi in Leipzig. Doch in der Stadt sind ihre Ideen ins Stocken geraten. Überraschend bekommt Claus von seinen Eltern eine große Summe Geld geschenkt. Kurzerhand entscheiden sich die beiden, einen alten Hof in der westdeutschen Provinz zu kaufen und ihn von Grund auf zu renovieren. Während Claus sich in der neuen Umgebung befreit fühlt, fehlen Vera ihre Freunde, die Zerstreuung des städtischen Lebens, die unverbindliche Leichtigkeit. Das Dorf, die Landschaft, Claus - alles scheint sich ihr entgegenzustellen. Doch als Vera wieder schwanger wird, wächst nicht nur ein neuer Mensch in ihrem Innern heran, auf wundersame Weise verbindet sie sich auch mit der Natur. Frühling, Sommer, Herbst und Winter weisen ihr den Weg zur Versöhnung mit der eigenen Vergänglichkeit.Mit einem guten Gespür für Dialoge und Details erzählt Lisa Kreißler in ihrem neuen Roman SCHREIE & FLÜSTERN von einer Wirklichkeit im Wandel und davon, wie w ichtig es ist, den eigenen Gefühlen zu vertrauen.
Leseprobe:
Der LKW keucht und blubbert, als Papa den Schlüssel abzieht und aussteigt. Auch Claus hüpft nach draußen. Ich möchte nicht aussteigen. Ich möchte warten, bis Papa wieder einsteigt und mich zurück nach Leipzig fährt. Claus läuft mit sicheren Schritten über den Hof. Ich vermisse Siggi. Ich wünschte, er wäre hier, neben mir im Fahrerhäuschen, in seinem Kindersitz. Und dass ich ihn jetzt anschauen könnte, wie er schläft, mit gerunzelter Stirn, in größter Verzweiflung eingeschlafen, schreiend sogar. Seine Kleider sind nassgeschwitzt. Ach, Siggi!, würde ich flüstern und meinen Kopf an sein feuchtes Haar lehnen. Ich würde nach seiner kleinen schmutzigen Hand greifen. Ach, Siggi, was machen wir bloß hier?"Was ist, Töchterlein?" Papa steckt seinen Kopf in die Fahrerkabine. Seine schlechte Laune scheint davongeweht, seit er wieder heimatlichen Boden unter den Füßen hat. "Kommst du?"Ich wische mir die Tränen vom Gesicht, zucke mit den Schultern und schnalle mich ab.Die Helferzahl in Pohle be schränkt sich auf zwei Personen. Tante Karin kommt als erste angefahren, in Aerobic-Kleidung inklusive Stirnband. Sie zeigt mir ihre Muskeln und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, als sie einen Blick in die halb eingestürzte Scheune wirft."Oh Gott!", sagt sie immer wieder. "Oh Gott!"Auch Onkel Guido kommt, um uns zu helfen. Allerdings kann er schwere Dinge im Augenblick nicht heben. Er hat Probleme mit dem Rücken. Mein starker, starker Guido war einst ein Riese mit grenzenloser Kraft und fantastischen Visionen. Jetzt ist auch er zu einem Menschen geworden, den die Vergangenheit belastet und der die Zukunft nicht mehr liebt. Er trägt eine Kleiderstange in die Scheune und lässt sich schwer zum Lachen bringen."So ein Monsterhof", sage ich, "das wäre doch eigentlich was für dich. Hier hast du Platz für 100 Motorräder und eine Kaninchenzucht!""Ich könnte das nicht mehr", sagt er nur und trottet zurück zum LKW.Und je weiter der LKW sich leert, je mehr unserer Dinge in der dunklen Scheune verschwinden, desto mehr schreibt das Gefühl der Endgültigkeit sich in mich ein. Dies hier ist meine letzte Station. Hier werde ich den Rest meines Lebens verbringen - und irgendwann verschwinden.