Verlag | Verlag am Rande e.U. |
Auflage | 2024 |
Seiten | 276 |
Format | 15,6 x 2,4 x 21,9 cm |
Mit Lesebändchen | |
Gewicht | 542 g |
ISBN-10 | 3903190659 |
ISBN-13 | 9783903190658 |
Bestell-Nr | 90319065A |
Lisl geht schon früh als Dirn in den Dienst. Es dauert nicht lange, bis sie sich in den Jungbauern verliebt und von ihm schwanger wird. Viele Jahre später, kurz nach Lisls Tod, ist es ihr Sohn Paul, der das nun verwaiste Elternhaus ausräumt. Der Brief eines Fremden, der ihm dabei in die Hände fällt, bringt den Stein ins Rollen. Schnell zeigt sich, dass Paul auf der Suche nach weiteren Briefen nicht nur das Haus, sondern auch seine Familiengeschichte auf den Kopf stellt.
Leseprobe:
Zwei Wochen ist es her, dass ich meine Mutter zum letzten Mal gesehen habe. Zu sagen hatten wir uns oft nicht viel bei den sonntäglichen Besuchen. In letzter Zeit war das anders. Sie scherzte sogar bei unserem letzten Treffen, als ich an ihrem Bett saß. Über den neuen Pfleger, der noch unbeholfener war als mancher Zivildiener. Worüber wir sonst sprachen, daran erinnere ich mich gerade nicht. Als ein paar Tage später während der Arbeit mein Handy läutete, war es nicht der Pfleger, der dran war. Solche Nachrichten überbrachte die Hausleitung persönlich. Heute sitze ich nach langer Zeit wieder hier. Staubig von oben bis unten. Verschmutzt vom stundenlangen Herumkramen im muffigen Haus. Seit Mutter ins Heim übersiedelt ist, liegt es verlassen in der Mitte der Siedlung. Jetzt ist es an mir, es ganz zu leeren. Niemals könnte ich mir vorstellen wieder hier zu wohnen. Ich werde es verkaufen, ganz klar. Ob ich das Ausräumen einer Firma übergeben sollte, hatte ich überlegt. Doch wozu dafür Geld ausgeben. Zwei, höchstens drei Wochenenden, dann müsste das doch erledigt sein. Jetzt fürchte ich, dass es mich den ganzen Herbst beschäftigen wird. Als ich die Kirchenuhr schlagen höre, wird mir klar, dass es Zeit wird aufzubrechen. Wer will schon einen Zug verpassen, der nur alle zwei Stunden fährt. Ich bin bereits aufgestanden, habe die ersten Schritte Richtung Siedlung gemacht, da blitzt etwas auf. Ganz rechts am Rand des Blickfelds. Ein Lichtblitz. Von dort, wo die Linde steht. Sicher ein Sonnenstrahl, der von etwas zurückgeworfen wird. Aber wovon? Da ist doch nichts. Nur der große, alte Baum. Ich gehe ein paar Schritte zurück, stehe vor der Linde, sehe nichts. Obwohl die Zeit drängt, beginne ich zu suchen. Vielleicht ein Eispapier. Ein Kronkorken. Oder eine Glasscherbe. Ich weiß selbst nicht, warum mir das jetzt so wichtig ist. Als ich die Linde umrunde, stolpere ich. Aber es ist keine Wurzel, an der ich hängen bleibe. Ganz nah am Baum, schon fast vom Stamm umwachsen, s teht ein kleines Kreuz. Ich beuge mich hinunter, gehe in die Knie, betrachte gebannt dieses schlichte, gusseiserne Kruzifix. Darunter ein Schild, ein Name. A. Mersani. Kenne ich nicht. Doch langsam kommen mir Zweifel. Habe ich diesen Namen nicht schon einmal gehört? Oder verwechsle ich da etwas? Wie zuvor das aufblitzende Licht, lässt mir nun der Name keine Ruhe. Gedankenverloren schlendere ich zurück zur Bank. Jetzt, da ich das Kreuz kenne, sehe ich es auch von hier. Winzig ist es. Nur zu sehen, wenn man weiß, dass es da ist. Ich muss an diesen gebannten Blick meiner Mutter denken. Bis sich ein anderes Bild vor mein Auge schiebt. Ja, ich kenne diesen Namen. Erst vor ein paar Stunden habe ich ihn auf einem Briefumschlag gelesen. Ob ich ihn vielleicht doch öffnen soll?