Vermessene Zeit - Der Wecker, der Knast und ich
Verlag | Edition Nautilus |
Auflage | 2020 |
Seiten | 192 |
Format | 12,6 x 20,8 x 1,5 cm |
Großformatiges Paperback. Klappenbroschur | |
Gewicht | 238 g |
ISBN-10 | 3960542283 |
ISBN-13 | 9783960542285 |
Bestell-Nr | 96054228A |
Im Dezember 1987 wird Ingrid Strobl, Journalistin und Autorin, in ihrer Kölner Wohnung festgenommen, nach §129a StGB - Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Sie hatte einen Wecker der Marke Emes Sonochron gekauft, für einen Bekannten, wie sie sagte, der sie darum gebeten hatte. Dieser Wecker wurde als Zeitzünder bei einem Sprengstoffanschlag der »Revolutionären Zellen« auf ein Lufthansagebäude verwendet, bei dem ein Sachschaden entstand. Mit dem Anschlag wurde gegen die Abschiebepraxis von Asylsuchenden protestiert, was Ingrid Strobl befürwortete.Sie weigert sich, den Namen des Bekannten zu nennen, und bleibt in Untersuchungshaft. Im Gefängnis lernt sie eine ihr völlig fremde Welt kennen, eine Welt von Schmerz und Sucht, von Wut und Unterwerfung. Kraft zieht sie vor allem aus der Arbeit an einem Buch über Widerstand von Frauen im deutsch besetzten Europa, an dem sie schon vor ihrer Verhaftung gearbeitet hatte.Im Juni 1989 wird sie zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nac hdem der Bundesgerichtshof das Urteil zunächst aufgehoben hat, wird Ingrid Strobl in der Revisionsverhandlung 1990 schließlich wegen Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag zu drei Jahren Haft verurteilt.Dreißig Jahre später reflektiert Ingrid Strobl in diesem sehr persönlichen Buch über das Leben im Gefängnis, politischen Aktivismus von Frauen und individuelle Verantwortung. Dabei fragt sie auch nach der Legitimation von Widerstand und Gewalt.
Leseprobe:
Jahrzehnte später fragte mich mein Vater: »Warum hast du diesen Bekannten, diesen Feigling beschützt?« Ich versuchte, ihm zu erklären, dass der Mensch, für den ich den Wecker gekauft hatte, nicht feige war. Sondern dass wir, wenn er sich gestellt oder ich ihn verraten hätte, anschließend bloß beide im Gefängnis gesessen hätten. »Und«, fügte ich hinzu, »ich hätte diesen Menschen auch gar nicht verraten können. Ich bin keine Verräterin.«»Aber der hat doch dich verraten!«, rief mein Vater wütend. »Der hat dich im Stich gelassen. Der hat dich für ihn ins Gefängnis gehen lassen.«»Papa«, sagte ich, »ich habe das damals toll gefunden, was die Revolutionären Zellen gemacht haben. Ich hätte den Wecker vermutlich auch gekauft, wenn ich gewusst hätte, wofür er bestimmt war.«»Bist du dir da sicher?«, fragte er.»Ja«, antwortete ich.Mein Vater sagte daraufhin nichts mehr. Er musterte mich nur mit seinem ironischen Blick. Und ich brachte es nicht übers Herz, ihm die Wahrheit zu sagen.